Tag 13 – O Pedrouzo nach Santiago de Compostela

Der Morgen in O Pedrouzo begann sehr früh. Wir wollte gemeinsam Richtung Santiago aufbrechen und im Idealfall den Sonnenaufgang erleben. Das hieß um 5:30 Uhr aufstehen, packen und allerspätestens um 6:30 Uhr aufbrechen. Bis Santiago waren es ja trotz allem immer noch rund 20 km.

Louise war schon unten und startbereit – ich musste noch meinen Rucksack sortieren – das war aber schnell erledigt. Simona wirkte noch sehr müde und Mischa wollte nachkommen. Auch Pedro war bereits unten, schien sich aber noch organisieren zu wollen. Wir entschieden schon aufzubrechen und einen Kaffee zu suchen. Dort wollten wir auf die anderen warten. Gesagt getan – das Café in O Pedrouzo öffnete schon um 6 Uhr, so dass einem ordentlichen Start in den Tag nichts im Wege stand.

Dann ging es auch los – es bildeten sich kleine Gruppen heraus die gemeinsam gehen wollten. Luisa und ich hatten uns die Tage immer mal sehr gut unterhalten – so dass wir beide gemeinsam gingen. Simona wechselte immer mal wieder hin und her, blieb dann aber bei einem ihrer Landsleute. Mischa setzte sich ab – er wollte alleine sein.

Wo wir in den letzten Tagen eigentlich immer Gesprächsstoff hatten, liefen wir an diesem Tag über weite Strecken schweigend nebeneinander her. Jeder war in seinen Gedanken versunken und auch ich näherte mich dem Ziel und einem meiner Gründe für diese Reise – die Schnürsenkel von Hagen nach Santiago zu bringen. Insgesamt war das für mich dann doch emotionaler als gedacht. auch wenn ich Hagen noch nicht so viele Jahre gekannt hatte, war es in relativ kurzer Zeit eine sehr gute Freundschaft geworden und wir mochten uns. Dass er auf so unfassbar unfaire Art und Weise so früh sterben musste, macht mich immer noch sprachlos und zeigt mir aber wie wertvoll das Leben ist und wie gnadenlos die Zeit. Man darf nichts aufschieben … die Zeit wartet nicht auf einen und ob der „richtige“ Moment jemals kommt, weiß man nie!

Als ich dann den markanten Grenzstein kurz vor Santiago erreichte, war es an der Zeit Abschied zu nehmen. Ich hatte die ganze Zeit überlegt, wie ich das mit den Schnürsenkeln wohl am besten bewerkstelligen könnte. In den letzten Tagen reifte die Idee, meinen Stab zu nutzen – die Schnürsenkel drumherum zu wickeln und dann den Stab dort abzustellen.

So machte ich es – der Stab war meine Stütze die letzten Tage und mein Begleiter. Ich wickelte also die Schnürsenkel um den Stab und stellte ihn an dem Stein ab. Ich verabschiedete mich von Hagen unf ging weiter – nach Santiago. Luise hatte einige Meter weiter gewartet. Den Rest des Weges unterhielten wir uns wieder über alles mögliche. Es nahm auch wieder die Zahl der Santiago Touristen mit leichtem Kleinstrucksack zu. Es war wirklich nervig und anstrengend. Massen von Menschen, die irgendwo von einem Bus abgesetzt wurden, von Hotel zu Hotel wanderten und sich den Koffer hinterherfahren ließen verstopften die Wege, hörten Musik und plapperten laut – es war wie eine Kaffeeausfahrt. Das hat mit Pilgern nichts zu tun und dieser Massentourismus ist echt eine Schande. Diese Leite verstopften die Pensionen, waren laut und unangenehm und traten das, was die Pilgerei ausmacht wortwörtlich mit Füßen.

Wir regten uns kurz auf, überholten aber jeden der Trupps zügig und setzten unseren Weg nach Santiago fort. Gegen halb 12 erreichten wir den Platz vor der Kathedrale. Wir hatten noch Sekt besorgt und als wir ankamen köpften wir diesen. Es war geschafft! Langsam tauchten all die anderen auf wir saßen noch lange zusammen, machten Fotos und holten uns schließlich die Compostela.

Danach verabschiedeten wir uns alle vorerst und jeder ging seines Weges um das Quartier aufzusuchen, Wäsche zu waschen und um für sich zu sein. Am Abend trafen wir uns noch einmal um zu feiern und uns zu unterhalten.

Das war er also … mein dritter Camino. Er war anders als die ersten beiden – anstrengend aber durchaus sehr schön – in Summe bin ich 360 km gegangen und habe dabei 10170 Höhenmeter überwunden. Ein Paar Schuhe aufgebraucht, die repariert werden mussten und mein linker Knöchel ist etwas überstrapaziert. Was habe ich dafür bekommen? Ich war 13 Tage lang überwiegend in der Natur unterwegs, habe viele Menschen getroffen, manche waren sehr angenehm und man wollte Zeit mit ihnen verbringen und anderen ist man aus dem Weg gegangen.

Es gab wieder viele Geschichten. Die Dänin, die um ihre Mutter trauerte, die jungen Amerikanerinnen, die zwischen Studium und Beruf noch mal was außergewöhnliches erleben wollten und es waren die Geschichten über Auszeit, Jobwechsel und Urlaub … alle waren interessant und alle hatten wir etwas gemeinsam – wir haben einen anspruchsvollen Weg hinter uns gebracht, über Berge, durch Wälder und mittelalterliche Dörfer, haben gelacht, gefeiert und zuletzt auch gemeinsam ein Ziel erreicht – den Camino Primitivo von Oviedo nach Santiago de Compostela zurückgelegt.

Auch für mich ist wieder die ein oder andere Erkenntnis dabei. Ich konnte mich Fragen stellen und auch mit Menschen über Themen sprechen, die mich nicht kennen, eine neue Sichtweise einnehmen und für mich den Blickwinkel ändern – das ist viel wert – bleibt zu hoffen, dass ich das ein oder andere auch umsetzen kann.

Der Camino ist für mich jedesmal aufs Neue ein Erlebnis! Anspruchsvoll und abwechslungsreich – sowohl von den Menschen aber auch von der Landschaft. Ich habe mich dieses Mal noch ein bisschen mehr darauf eingelassen, bin an meine Grenzen und das ein oder andere mal auch darüber hinaus gegangen. Ich habe wieder viel über mich gelernt und kann voller stolz sagen, dass ich jeden Meter auf diesem Camino auf meinen eigenen Füßen zurückgelegt habe.

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