Es sind jetzt drei Tage, seit ich Santiago erreicht habe. Der Montagmorgen hat sich sehr gut angefühlt – der Aufbruch war früh – noch vor Sonnenaufgang. Es ging nur noch um 20 km Wegstrecke … es fühlte sich ziemlich unwirklich an. Der Weg ging aus O Pedrouzo heraus zurück in einen kleinen Waldabschnitt. Man konnte allerdings den nahen Flughafen sehr gut hören.


Am Wegesrand standen einige sehr alte Eichen. Der Gedanke, dass diese Bäume schon mehrere Hundert Jahre alt sind, war für mich schon sehr beeindruckend – wie viele Pilger hier über die letzten 500 Jahre wohl bereits entlanggelaufen sind und diese Bäume bewundert haben?


Ich genoss noch einmal die Natur und Ruhe – viel zu schnell erreichte ich trotz Pausen dann die Außenbezirke von Santiago de Compostela – gekennzeichnet durch einen sehr alten Grenzstein. Ich verlangsamte erneut meine Schritte und durchquerte die letzten Waldabschnitte in die Stadt hinein.



Als mein Blick das erste mal auf Santiago fiel, wurde es emotional … eine Mischung aus Traurigkeit, Freude und Erschöpfung überkam mich. Ich wusste, wenn ich mich jetzt hinsetzen würde, hätte ich Schwierigkeiten wieder auf die Beine zu kommen. Es ging auch noch einmal steil bergab. Als ich schließlich die Autobahnbrücke überquerte war ich endlich in Santiago angekommen. Von hier waren es nur noch drei Kilometer bis zum km 0.

Der Weg bis zur Kathedrale verlief beinahe automatisch – ich hatte das Ziel vor Augen und nun, da ich diesen weiten Weg zurückgelegt hatte, wollte ich ihn auch bis zum Schluss gehen – ich ignorierte meine Füße und gegen 12:30 Uhr war ich endlich angekommen – vor der Kathedrale von Santiago de Compostela.












Nachdem ich mich auf dem Platz ausgeruht und den Moment genossen habe, ging ich zum Pilgerbüro um meine Compostela abzuholen. Anschließend ging es zu meiner Unterkunft. Dort ruhte ich mich etwas aus, um anschließend frisch geduscht und ausgeruht durch die Stadt zu schlendern. Ich besuchte einen Barbier um meinen Bart, der die letzten vier Wochen zügellos wuchs, wieder in Form bringen zu lassen und dann suchte ich wieder den Platz der Kathedrale auf. Ich beobachtete die vielen Pilger, die ankamen, sich glücklich in die Arme fielen oder sich nach der langen Reise wieder trafen.
Es war einerseits wirklich schön das zu beobachten, andererseits empfand ich es auch als ein wenig traurig. All die Zeit war ich weitestgehend alleine unterwegs – ich wollte das auch so – aber der Camino Del Norte ist streckenweise so einsam, dass man tagelang keine anderen Pilger sieht – oder immer die gleichen – was nicht schlimm ist aber die Wahrscheinlichkeit, dass man jemand bekanntes wiedersieht, doch deutlich reduziert.
Anders ist das scheinbar auf dem Camino France. Dieser wird von über 70% aller Pilger genommen und bei über 1000 bis tlw. über 2000 Pilgern, die täglich in Santiago ankommen, ist es da nur logisch, dass man auf dem Hauptweg über diese lange Zeit sehr viele Menschen trifft, von denen man dann in Santiago auch einige wiedersieht. Das verbindet – und das fehlte mir dann doch ein wenig.
Da war es – das Loch vor dem ich Angst hatte … ich wollte den Moment nicht loslassen und doch fühlte ich mich alleine. Also ging ich zur Abendmesse und war erneut beeindruckt von der Schönheit der Kirche und auch ein wenig enttäuscht, dass wegen Covid das Ritual der Umarmung des Apostels nicht möglich war – ja – sicherlich klingt das albern – aber es hatte etwas und als ich meinen ersten Camino ging, empfand ich diesen Abschluss des Weges als sehr angenehm.
Die Messe selbst war sehr beeindruckend und anders als vor vier Jahren, waren die Bauarbeiten in der Kathedrale abgeschlossen. Man konnte den Altar in seiner Pracht bewundern – und er ist wirklich prächtig und sehr beeindruckend!
Abends schrieb ich mit Ramon – er hatte eine Frau aus Irland kennengelernt und sie haben ihre Pläne verworfen, nach Fisterra zu gehen und sich wohl zwei Tage in Santiago die Zeit vertrieben … wir wollten uns am nächsten Tag treffen. Dienstag tauchten dann auch Gesichter auf, die ich vom Camino Norte bereits kannte – Eugene, Ramon, Phillip, Lisa usw. – es war schön bekannte Gesichter zu sehen und so saßen wir zusammen, aßen etwas, unterhielten uns und tauschten Erlebnisse aus – es war so unglaublich wichtig, dies zu tun!
Abends verabredeten wir uns erneut zum essen. Es waren noch einige andere Pilger dazu gekommen, die Eugene auf dem Primitivo getroffen hatte – viele Deutsche … aber es war eine lustige Gruppe und so zogen wir von dannen.


Als wir gegessen hatten, erzählte Ramon noch von einem besonderen Ritual „A Queimada“ – ein Feuerritual, bei dem eine Formel gesprochen wird, während in einer großen Schale brennender Alkohol immer wieder aufgerührt und zurückgegossen wird. Dabei wird eine Menge Alkohol verbrannt und anschließend wird der Rest getrunken. In dem Alkohol schwimmen Zitronenscheiben, Kaffeebohnen und andere Sachen, an die ich mich nicht mehr erinnere.

Der Abend war jedenfalls lang und sehr lustig. Ich merkte auch, dass ich wieder aus dem Loch heraus kam, in das ich zu fallen drohte. Am nächsten Tag wollte ich mit dem Bus richtig Fisterra fahren – einige Stationen vorher aussteigen und den Rest laufen – der Bus fuhr um 9 Uhr ab … ich war halb zwei im Bett 🙄. Dieser Ausflug erschien mir aber richtig, denn er versprach etwas Abwechslung und nochmal einen anderen Blickwinkel.
Ich schaffte es pünktlich zum Bus – traf dort auch auf Ramon und Phillipe. Wir stiegen in den Bus und mit einiger Verspätung ging es dann los. Die Busfahrt werde ich so schnell nicht vergessen … der Fahrer fuhr, als ob der Leibhaftige hinter uns allen her wäre. Es ging bergauf und bergab – durch scharfe Kurven und irgendwann war mir so schlecht, dass ich nach vorne musste … und mir wird im Bus eigentlich nie schlecht … aber das hat echt alles getoppt. Die Fahrt dauerte mehr als zwei Stunden. Ich stieg ca. 15 km vor Fisterra aus, suchte den Weg und fand ihn auch sehr schnell. Es ging wieder in den Wald – ich fühlte mich sofort wieder wohl. Es hatte etwas gewohntes, etwas, dass ich vermisst habe – nur dass ich ohne Rucksack unterwegs war und das Laufen sich wie fliegen anfühlte.

Auch wenn die 15 km wie im Flug vergingen fühlte es sich noch einmal richtig gut an zurück an die Küste zu kommen, die Füße in den Sand zu stecken und noch einmal die Natur zu genießen. Ich entdeckte eine kleine einsame Bucht und da ich mehr als genug Zeit hatte, stieg ich hinunter und legte mich in den Sand. Es war wirklich herrlich und so blieb ich eine halbe Stunde dort und lauschte den Wellen.


Anschließend ging es nach Fisterra – ans Ende der Welt. Als ich Fisterra endlich erreichte, stand ich noch eine gute Stunde am Meer und blickte in die Ferne … die Stimmung drohte wieder zu kippen und ich entschloss mich, dass es genug ist – der nächste Buss würde bald fahren – also entschied ich mich diesen auch gleich zu nehmen und zurück zu fahren. Donnerstag stand noch mal Santiago auf dem Programm – Messe, etwas einkaufen und dann bald schlafen gehen – halb neun am Freitag will ich am Flughafen sein.
Fazit:
- Es hat alles ein Ende und das ist auch nicht schlimm … es ist eine Erinnerung aus der man Kraft schöpfen kann
- Es war nicht der letzte Camino!
- Ich glaub so oft wie diese Woche, war ich im ganzen letzten Jahr nicht in der Kirche – es hatte etwas ungemein beruhigendes
- Ich bin jetzt wieder an dem Punkt, an dem ich nach Hause will!